Im Tanzperformance-Projekt ALZHEIMAT geht es um die Veränderungen, Krisenmomente und Bewältigungsstrategien, die ein demenziell bedingter Identitätsverlust auslöst – für die Erkrankten und für deren soziales Umfeld. Die Performance ist das Ergebnis eines offenen Arbeitsprozesses, in dem der Autor Kai Pichmann, der Regisseur Ron Rosenberg und die Choreographen Nikos Kalyvas und Kosmas Kosmopoulos gemeinsam mit elf Performer*innen – sieben Tänzer*innen und vier Laiendarsteller*innen über 65 – über mehrere Monate das krankheitstypische Neben- und Nacheinander von Erinnern und Vergessen, von Widerstand, Hoffnung, Resignation und Akzeptanz erforscht haben. Dabei spielte die Auseinandersetzung mit Erfahrungen von Angehörigen, Betreuenden und medizinischen Experten eine wichtige Rolle.

In Deutschland sind derzeit nahezu anderthalb Millionen ältere Menschen an Demenz erkrankt, vorrangig an der degenerativen Alzheimer-Variante. Bis 2050 wird sich ihre Zahl voraussichtlich verdoppeln. Auf absehbare Zeit scheinen weder eine Heilung noch eine erfolgversprechende Behandlung der Symptome möglich. Das Leid der Kranken wird vervielfacht durch das ihrer Angehörigen, professionelle Hilfe durch ambulante oder eine – menschenwürdige – stationäre Pflege ist angesichts des Pflegenotstands und der Untätigkeit der deutschen Politik bei der dringend notwendigen Reform des Gesundheitssystems immer schwerer realisierbar bzw. durch die Betroffenen zu finanzieren.

Mit ALZHEIMAT möchten wir die die Aufmerksamkeit also auf ein Thema von hoher gesellschaftlicher und politischer Relevanz lenken. Dennoch zielt das Stück nicht auf eine agitatorische Abrechnung mit systembedingten Defiziten, und es ist auch kein emotional grundiertes Klagelied über das unaufhaltsame Verschwinden eines geliebten Menschen. ALZHEIMAT ist eine Entdeckungsreise, die den Zuschauer an der Welt derer teilhaben lässt, die im Vergessen unterwegs sind, zu einem anderen Ort. Erzählt wird von schönen und traurigen Momenten und von ganz unerwarteten Entdeckungen im Umgang mit der Krankheit, Tagebuchtexte führen in wach werdende Vergangenheiten und erwecken schlummernde Zukünfte. ALZHEIMAT stellt eine auf ein besseres Morgen fixierte Gesellschaft in Frage und erinnert daran, dass wir wenig mehr als das „Jetzt und Hier“ haben. Das Stück zeigt, wie fragil, verletzlich, voneinander abhängig und aufeinander angewiesen wir Menschen sind, aber auch, dass die Erkrankung manchmal eine Chance bietet: zu lernen, im Moment zu sein. Nicht zuletzt soll ALZHEIMAT all jenen Aufmerksamkeit verschaffen, die sich tagtäglich im schwierigen Umgang mit der Krankheit aufopfern. Das Stück möchte einen offenen Diskurs anregen, der es erlaubt, auch Schmerz, Erschöpfung und Trauer zuzulassen und zu benennen.

Performance & Cast
Stückentwicklung und Performance: Hedda Brandenburg, (Orfeas Chatzispirou), Sophia Gousgoula, Maia Joseph, Carmen Maria Jentzsch, (Jaewon Jung), (Lena Klink), Nikoleta Koutitsa, Davide Lorenzi, Jirmeja Pattianakotta, Ursula Schmidt-Bichler, Wolfgang Schuld, Caspar Sebastian Stuart, (Maria Tsouvala), (Agathe Vincent)
Künstlerische Leitung: Kosmas Kosmopoulos, Kai Pichmann, Ron Rosenberg
Konzept, Dramaturgie und Textarbeit: Kai Pichmann
Regie: Ron Rosenberg
Choreographie: Nikos Kalyvas, Kosmas Kosmopoulos
Komposition und Musik: Antonios Palaskas
Ausstattung und Kostüme: Kosmas Kosmopoulos
Technische Leitung und Lichtdesign: Andreas Harder, Sanja Gergoric, Dimitris Stamatis
Produktionsleitung, Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit: Fee Josten, Carmen Maria Jentzsch
Fotografie und Dokumentation: Giovanni Lo Curto

Aufführungen (Dauer: ca. 55 Minuten)

_ im Januar 2024
Samstag, 06.01.24, 19:00 Uhr
Sonntag, 07.01.24, 19:00 Uhr

Uferstudios (Studio 1), Badstr. 41a, 13357 Berlin

Tickets
15 € bzw. 10 € (ermäßigt für Studierende, Auszubildende, Menschen mit Behinderungen, Arbeitslose und Inhaber*innen der Tanzcard) bei RESERVIX

_ im November 2023
Samstag, 04.11.23, 21:00 Uhr
Sonntag, 05.11.23, 21:00 Uhr

Industriepark PLYFA, Koritsas 39, Athen

Tickets
Eintritt frei, Anmeldungen erbeten unter lounapark.works@gmail.com

_ im Juni 2023
Mittwoch, 28.06.23, 20:00 Uhr (Premiere)
Donnerstag, 29.06.23, 20:00 Uhr

Ballhaus Prinzenallee, Prinzenallee 33, 13359 Berlin

Tickets
Eintritt frei, Anmeldungen erbeten unter assistenz.lunapark@gmail.com

Produktion und Förderung
ALZHEIMAT (ein anderer Ort) ist eine Produktion von LUNA PARK und Kai Pichmann, gefördert vom Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen von NEUSTART KULTUR. ALZHEIMAT wurde realisiert in Zusammenarbeit mit der Initiative LUNA PARK und der Gesundbrunnen-Grundschule im Rahmen des Projekts „tanz(t)räume“, gefördert durch TANZPAKT Stadt-Land-Bund und die Absolvent*innen-Förderung DIS-TANZ-START des Dachverbands Tanz Deutschland und kofinanziert durch die Senatsverwaltung für Kultur und gesellschaftlichen Zusammenhalt und das Städtebauförderprogramm Sozialer Zusammenhalt über den Projektfonds des QM Badstraße.

Kai Pichmann arbeitet seit Mitte der 1990er Jahre als Autor und Dramaturg. Inszenierungen mit seinen Texten wurden in Theatern in Deutschland, Belgien, der Schweiz und Griechenland aufgeführt. Außerdem engagiert er sich in zahlreichen soziokulturellen Projekten im Tanz- und Theaterbereich. Die Initiative LUNA PARK realisiert seit über 20 Jahren zeitgenössische Tanzproduktionen mit Aufführungen in In- und Ausland und organisiert vielfältige Projekte der außerschulischen künstlerischen Bildung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen sowie internationale Austausch- und Begegnungsprogramme für junge Tanzschaffende und Fachkräfte der Tanzvermittlung. Lokal engagiert sich die Initiative vor allem in Berlin-Wedding. 2019 institutionalisierte sich die Initiative an der Gesundbrunnen-Grundschule als gemeinnütziger Verein, um die Schule im Rahmen einer Künstler*innenresidenz als offenen Produktionsort für den zeitgenössischen Tanz zu etablieren.